Artikel: Ronja von Rönne
DB MOBIL trifft die Autorin am Wolfsburger Hauptbahnhof. Die Schriftstellerin verrät, mit wem sie im Zug ihre Nüsse teilt und warum Bahnfahren ein Akt des Trotzes ist.
Von: Vivian Alterauge
Datum: 06.10.2023
Frau von Rönne, wohin geht die Reise?
Zurück nach Berlin, ich war nur für ein Interview in Wolfsburg.
Welche Routen fahren Sie gern?
Meine liebste Strecke führt von Salzburg nach Übersee in Oberbayern, meine Eltern wohnen ganz in der Nähe. Ich warte jedes Mal ungeduldig auf den Moment, wo die Landschaft hügeliger wird, dann kommen die ersten Kühe und Berge. Aber ich freue mich auch schon auf die Fahrt in Richtung meines geliebten Berlins, des Gegenentwurfs sozusagen. Ab Spandau werde ich ganz kribbelig und weiß: Ich bin zurück in der großen Stadt. Womöglich mag ich vor allem das Heimkommen. Egal von wo, frei nach Novalis: Wohin geht Mensch: immer nach Hause.
Wo sitzen Sie für gewöhnlich?
Am liebsten am Fenster in einem Abteil mit irgendwelchen Fremden. Ich bin so eine, die andere direkt nervt und ins Gespräch kommen will. Die meisten finden das nur leider gar nicht toll und stecken sich direkt Airpods in die Ohren.
Wen können Sie denn am ehesten in ein Gespräch verwickeln?
Erstmal halte ich Leuten Snacks hin, Nüsse habe ich eigentlich immer dabei. Aber am schnellsten komme ich mit alten Damen ins Gespräch. Die sind nicht direkt genervt, wenn man sie anspricht. Eine Frau, die ich in Oberbayern traf, erzählte mir einmal, dass sie auf dem Weg in ein Dorf ist, in dem sie mit ihrem Mann die Flitterwochen verbracht hat. Seitdem er nicht mehr da ist, fährt sie an seinem Todestag immer dorthin. Einfach nur um die Strecke abzufahren und einmal zu der Kapelle zu gehen, wo sie beide waren.
Und wenn es mal nicht klappt mit dem Kennenlernen anderer Fahrgäst:innen?
Dann bin ich wie jeder andere, habe drei Bücher dabei und fünfzehn Podcasts runtergeladen – und am Ende schau ich die ganze Zeit aufs Handy. Ich bin ein Nachrichtenjunkie und lese quasi unentwegt. Von Reddit über Spiegel bis CNN. Ich liebe auch Bildergalerien, durch die ich mich klicken kann. Wenn ich Empfang habe, rufe ich meine Oma an.
Was aber wirklich unterschätzt wird: Einfach nur tumb aus dem Fenster zu schauen. Ich habe es nicht so mit Meditation, aber in solchen Momenten komme ich diesem Gefühl wohl am nächsten. Nur rausschauen und ganz wenig denken. Ganz selten arbeite ich auch mal, wenn ich mal wieder eine Deadline gerissen habe. Zugfahren ist aber eigentlich immer eine Auszeit für mich.
Sie haben kürzlich ein Buch über Trotz geschrieben. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?
Weil ich das Gefühl hatte, Trotz ist etwas für die Schmuddelecke. Man denkt direkt an brüllende Kleinkinder im Familienabteil, von denen alle anderen genervt sind, aber tatsächlich kann Trotz auch Fortschritt sein. Trotzig ist auch eine Rosa Parks, die nicht aufsteht im Bus und damit eine Bürgerrechtsbewegung auslöst. Oder wenn man sich aus einer Beziehung löst. Trotz kann eine Initialzündung sein.
Die Bahn ist, wie vermutlich jeder andere öffentliche Ort, gut geeignet, um Trotz zu beobachten. Welche Beispiele fallen Ihnen da ein?
Jeder Mensch, der Bahn fährt, obwohl er schon mal Bahn gefahren ist, ist ein Idealist. Trotz allem, trotz Verspätungen, trotz Personalmangel im Bordbistro und Junggesellenabschiede im Großraumwagen: Sich immer wieder für Zugfahren in Deutschland zu entscheiden, das ist Trotz. In umweltfreundlich. Trotz ist schließlich auch Idealismus.
Ist Trotz besonders gegenwärtig?
Wir leben gerade in Zeiten, in denen ganz viel entschieden wird, und deshalb sind es trotzige Zeiten. Wenn Menschen beginnen, die Realität und Wissenschaft zu leugnen, wird es natürlich sehr gefährlich. Aber ich bin dennoch dafür, genau zu beobachten, warum wir als Gesellschaft gerade so trotzig sind, gegen was sich das richtet und wie wir die Welt um uns herum verbessern können. Zuhören ist auf jeden Fall eine Kulturtechnik, von der wir ganz gut profitieren können.
Trotzkopf
Fürchtet sich nicht vor schlechten Besprechungen: Die Autorin Ronja von Rönne (33) hat schon mehrere Bücher veröffentlicht und einige Shitstorms ausgestanden. Sie sei, so sagt sie, trotzig genug, um mit negativem Feedback umzugehen. In ihrem Essayband „Trotz“ erzählt sie von der Schöpfungsgeschichte genauso wie von ihrem besten Freund, den der Trotz beinahe sein Leben gekostet hat.