Der Riedbahn-Erklärer

Artikel: Der Riedbahn-Erklärer

Als Projektleiter ist Julian Fassing eines der prominenten Gesichter der Riedbahn. Warum der Erfolg der Generalsanierung vor allem von Werten wie Vertrauen und Verlässlichkeit abhängt und wieso sich die Planungen dafür quasi in „Warp-Geschwindigkeit“ realisieren ließen – das haben wir bei einem Besuch auf der wohl derzeit bekanntesten Baustelle Deutschlands erfahren.

Die Maschine rollt im Schritttempo voran. Zurück bleiben planierter Schotter, neue Schwellen, frisch eingefädelte Schienen. „Vorne fährt der Zug auf alten Schienen“, sagt Julian Fassing in die Kameralinse, „und hinten bereits auf neuen.“ Dass er mal für eine Kindernachrichtensendung erklären würde, wie eine Gleisumbaumaschine funktioniert – damit hat er seinerzeit nicht gerechnet. Damals, vor gut zwei Jahren, als er die Machbarkeitsstudie realisierte, die sich der Frage widmete: Kann man einen der wichtigsten Schienenkorridore Deutschlands sperren und innerhalb von fünf Monaten generalsanieren? Die Studie kam zu dem Schluss: Man kann.

Helm, Baustellenjacke in Orange, konzentrierter Blick

Heute steht der 46-Jährige auf den gesperrten Gleisen jener Baustelle, die er mit erdacht hat und auf die ganz Deutschland blickt, und gibt Interviews. „Wie viele Meter Gleis kann die Maschine pro Tag erneuern?“, „Liegen Sie im Zeitplan?“, „Wo hakt es?“ – Fragen der Journalisten prasseln auf den Projektleiter der Riedbahn ein. Fassing antwortet fundiert, unaufgeregt. Er wägt ab. Manchmal verstreichen ein paar Sekunden, bevor er seine Antwort gibt. 

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Ende des Sliders

Dass sich die Baustelle aus 800 einzelnen Maßnahmen zusammensetzt. Dass die großen Umbauzüge die Taktgeber der Baustelle sind. Dass es auch Abweichungen gibt. Mal ist es ein defekter Bagger, mal ist es zu heiß zum Schweißen. 08/15-Baustellen-Kram eben. „Nichts, was den großen Plan gefährdet“, betont der Wirtschaftsingenieur. Die Generalsanierung läuft seit neun Wochen, das Interesse der Öffentlichkeit ist ungebrochen. Und Julian Fassing – er ist der verbindliche Riedbahn-Erklärer. 2005 als Projektcontroller bei der DB eingestiegen, hat er bereits große Bahnprojekte wie den viergleisigen Ausbau der S6 der S-Bahn Rhein-Main verantwortet. Die Projektleitung für das Elektronische Stellwerk der Riedbahn – sie hat den Weg zu seiner jetzigen Funktion als Projektleiter geebnet.

Planungen in Warp-Geschwindigkeit

Julian Fassing ist eines der prominenten Gesichter der Riedbahn. Eines Projekts, das Aufmerksamkeit auf sich zieht. Selbst das der Infrastruktur-Kolleg:innen der Schweizerischen Bundesbahnen, deren Besuch den Stellenwert der Generalsanierung unterstreicht: „Für gewöhnlich geht er Blick ja anders herum, in unser Nachbarland, wenn es um besondere Eisenbahnleistungen geht“, sagt Fassing. Im Fall der Riedbahn wollten die Schweizer wissen, wie das DB-Team die Planungen des Großprojekts bewerkstelligt hat. Denn: Von der ersten Idee bis zum Baubeginn Mitte Juli sind gerade mal 23 Monate verstrichen. In der Eisenbahnwelt entspricht das quasi Warp-Geschwindigkeit.

Transparente Kommunikation: Auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing war bereits auf der Baustelle zu Gast.

Das Erfolgsrezept sei der Wille und der Mut, Dinge anders zu machen, so der Projektleiter. Statt Vorplanung, Entwurfsplanung und Ausführungsplanung chronologisch aufeinander folgen zu lassen, habe man die Schritte verzahnt und verwoben. Und: Man habe sich auf das jeweils Notwendige beschränkt. Kurzzyklisch, ohne Leerläufe. „Wir haben nicht an Inhalten gespart, aber an Formalien“, sagt Fassing. „Wir haben Abkürzungen genommen, zum Beispiel Annahmen getroffen, sie später validiert.“ Doch er sagt auch: „Das kostet Kraft.“ Das gesamte Team sei seit vielen Monaten mit einem außergewöhnlich großen Engagement am Start.

Er muss das Ziel im Blick behalten

Als Projektleiter ist Fassing derjenige, der auch während der Bauphase „den Überblick behalten, Abweichungen bereinigen und das Ziel im Blick behalten muss“, umreißt er seine Aufgaben. Jeden Morgen gibt es eine große interne Teamrunde mit den Verantwortlichen der fünf Bauabschnitte. Am späten Nachmittag sind die externen Bauunternehmen an der Reihe: „Die Abschnitte laufen autark. Ich schreite nur ein, wenn es nötig ist. Micromanagement wäre zum Scheitern verurteilt“, konstatiert er. 95 Prozent aller Entscheidungen werden von den Teams eigenständig vor Ort getroffen.

Während sich der Gleisumbauzug „Edelweiß“ Richtung Süden vorarbeitet, werkeln Arbeiter auf dem Gegengleis an der Oberleitung, Kabel der künftigen elektronischen Stellwerkstechnik liegen nördlich von Gernsheim bereit, neue Signale ragen in den Himmel. 40, wenn nicht 50 einzelne Baustellen laufen tagtäglich eng verzahnt auf der 70 Kilometer langen Strecke. Ein wichtiges Gut während der Bauphase sei Vertrauen, so Fassing. „Alle ziehen an einem Strang, alle müssen sich auf aufeinander verlassen können.“

Arbeiter werkeln auf dem Gleis. Im Hintergrund eine Schotterplaniermaschine.

Die Generalsanierung des Riedbahn-Korridors ist keine One-Man-Show

„Dieses Mindset zeichnet das Arbeiten auf der Riedbahn aus“, erklärt Oliver Stern, verantwortlicher Projektleiter von Leonhard Weiss, einem der vier Partnerunternehmen, die auf der Riedbahn im Auftrag der DB im Einsatz sind. Stern ist seit über 25 Jahren im Geschäft, er kennt die Tücken. „Projektverantwortliche wie Julian Fassing sind Gold wert“, sagt er. Es gebe kein Hü, kein Hott: „Entscheidungen fallen schnell. Er denkt strategisch, man kann sich auf sein Wort verlassen.“ Und so wenig die Generalsanierung des Riedbahn-Korridors eine One-Man-Show ist, so macht doch die vorgelebte Kultur einen Unterschied. Und so sagt Julian Fassing den Satz vor Journalisten nicht vorschnell, sondern überlegt und bedacht: „Wir liegen im Plan – Mitte Dezember werden wir den generalsanierten Riedbahn-Korridor wieder freigeben können.“